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Trollinger, Lemberger und frischer Wind im Süden: Württembergs neue Winzergeneration setzt auf Klasse statt Masse und beschert dem riesigen, weit verstreuten Anbaugebiet einen großen Imagegewinn. Rotwein Made in Germany – zwischen Taubertal und Bodensee eine Spezialität mit wachsendem Anspruch.

Württemberg – spannende Fakten zum Weinbaugebiet

Das Zentrum der Weinregion Württemberg befindet sich im Württembergischen Unterland zwischen Heilbronn und Stuttgart, wo rund 90 Prozent der Weinproduktion anfällt.

Die Gesamtrebfläche des Anbaugebiets beträgt knapp 11.400 Hektar und wird – für Deutschland untypisch – von roten Rebsorten mit ca. 70 Prozent Flächenanteil dominiert. Speziell ist das Gebiet in jeder Hinsicht: Entlang seiner Lebensader, dem Neckar, sticht Württemberg durch den Fokus auf Trollinger und Lemberger aus der deutschen Weinlandschaft hervor und besitzt eine reiche Geschichte.

Im Mittelalter galt die Region mit über 40.000 Hektar als wichtigstes Anbaugebiet neben Franken, steht heutzutage aber im Schatten von Rheinhessen, Pfalz und anderen Weinregionen. Dass Württemberg eine Nebenrolle spielt, liegt einerseits am beschädigten Außenimage durch fragwürdige Weine wie „Lemberger halbtrocken“ oder faden, biederen Trollinger, andererseits am hohen Eigenkonsum. Das Gros der lokalen Produktion wird in schwäbischen Besenwirtschaften, auf Weinfesten und generell von der einheimischen Bevölkerung konsumiert.

Doch der Ruf für billigen Massenrotwein gerät ins Wanken: Immense Qualitätsbestrebungen einiger Top-Winzer platzieren das Ländle zunehmend auf den Weinkarten renommierter Gastronomen. Weinliebhaber sollten zudem folgende Wissensbissen verkosten: 

  • 5.000 Jahre Weinbau: Ausgrabungen zufolge sollen die Kelten bereits 3.000 v.Chr. Traubensäfte aus Wildreben vergoren haben, womit Württemberg zu den ältesten Weingebieten der Welt zählt. 
  • Stark im Team: Württemberg wird von Winzergenossenschaften dominiert. Rund 60 Genossenschaften produzieren über 85 Prozent der Erträge. 
  • Schillerwein: Eine regionale Besonderheit, die aus roten und weißen Rebsorten gekeltert wird (Rotling). Wie in Wien, entsteht er als Gemischter Satz mit unterschiedlichen Rebsorten im selben Weinberg. 
  • 304 Grad Öchsle: Das höchste jemals in Baden-Württemberg gemessene Mostgewicht wurde 2018 vom Winzer Haidle aus Stetten aufgestellt. Und das mit einem Riesling-Eiswein, den man viel eher an der Mosel verorten würde! 

Region im Überblick

Klima

Die Tallagen des Neckars verzeichnen durch den Schutz von Schwarzwald, Odenwald und der Schwäbischen Alb milde Jahrestemperaturen, die eine hohe und zuverlässige Weinproduktion ermöglichen. Starke Winde und übermäßige Niederschläge bleiben aus.

Warme Sommer und sonnige Herbsttage fördern vor allem die Erträge der Rotweine, doch das kontinentale Klima kann den Weinbau in manchen Jahren durch Winterfröste bedrohen.

Im Vergleich zum benachbarten Baden sind die Weinlagen oftmals höher gelegen (200 bis 400 Meter ü. N. N.), was insgesamt kühlere Verhältnisse hervorruft. Diese sind der Grund, warum Württemberg zusammen mit allen anderen deutschen Weinbaugebieten außer Baden der kühlen Weinbauzone A zugerechnet wird.

Im Glas zeigt sich württembergischer Wein somit typischerweise leichter als badischer. Die Heterogenität des Gebiets bedingt jedoch unterschiedlichste Klimaverhältnisse.

Weinbauzentren: Wichtigste Bereiche und ihre Böden

Württemberg ist weinbautechnisch ein gewaltiger Flickenteppich, der unzählige separate Weininseln statt größere, zusammenhängende Flächen aufweist. Die Herzen des Anbaugebietes sind Heilbronn und Stuttgart, insgesamt werden von Nord nach Süd sechs Bereiche differenziert: 

  • Kocher-Jagst-Tauber
  • Württembergisches Unterland
  • Remstal Stuttgart
  • Oberer Neckar
  • Bayerischer Bodensee + Württembergischer Bodensee

Das nordöstlich gelegene, nach seinen Flüssen benannte Gebiet Kocher-Jagst-Tauber ist die einzige auf Weißwein spezialisierte Unterregion Württembergs. Rund 65 Prozent der Fläche sind mit weißen Rebsorten bestockt, von denen Müller-Thurgau und Silvaner die höchsten Anteile besitzen. Qualitativ sticht Riesling hervor. Vorherrschender Bodentyp ist Muschelkalk.

Im Württembergischen Unterland rund um Heilbronn werden mit Abstand die größten Weinmengen produziert. Herausragende Qualitäten erzeugen vor allem die Gemeinden Heilbronn, Weinsberg, Cleebronn, Schozach, Burg Wildeck und Oberstenfeld. Muschelkalk- und Keuperböden dominieren das geologische Erscheinungsbild, treffen aber auf eine Vielfalt anderer Bodentypen. 

Der Bereich Remstal Stuttgart liefert eine große Rebsortenvielfalt mit vielen Spitzenqualitäten. Ausgezeichnete Weinberge, oftmals mit der höchsten VDP-Klassifikation „Große Lage“, konzentrieren sich in den Ortschaften Untertürkheim, Fellbach, Stetten, Strümpfelbach, Schnait und Geradstetten. Verschiedenste Bodentypen von Lehm bis Mergel beeinflussen die Weincharakteristika. 

Weiter im Süden, zwischen Tübingen und Rottenburg, liegt der Bereich Oberer Neckar. Eine Ballung an Spitzenlagen wie rund im Stuttgart existiert zwar nicht, aber vor allem die Lokalspezialitäten Trollinger und Lemberger liefern teils erstaunlich hohe Qualitäten. Muschelkalk- und Keuperböden dominieren. 

Obwohl die Gemeinden Wasserburg und Lindau am Bodensee in Bayern liegen, werden sie dem Weinbaugebiet Württemberg zugerechnet. Wie in den badischen Weinbergen rund um den Bodensee, dominiert Müller-Thurgau im milden Klima. Eiszeitliche Verwitterungsböden verleihen den Weinen eine feine Fruchtigkeit. 

Sehenswürdigkeiten

    Die Württemberger Weinstraße durchzieht über eine Länge von rund 500 Kilometern alle wichtigen Weinbaubereiche des Gebiets. Von kleinen, idyllischen Weindörfern und romantischen Schlössern bis zum pulsierenden Großstadtleben Stuttgarts kreiert die Strecke eine hervorragende Orientierung für Weintouristen.

    Vor allem Wanderer, die entlang des Württembergischen Weinwanderwegs von Weikersheim bis zum Esslinger Marktplatz laufen, und Radfahrer, die den leicht zu bewältigenden „Radweg Schwäbische Weinstraße“ von Weikersheim bis Metzingen erkunden, erleben die volle kulturhistorische und kulinarische Vielfalt der Region. Einige der Highlights sind: 

    • Schloss Weikersheim 
    • Die Stadt Heilbronn
    • Erlebnispark Tripsdrill
    • Residenzschloss Ludwigsburg
    • Staatstheater Stuttgart
    • Weinbaumuseum Metzingen

    Welche Rebsorten wachsen in Württemberg?

    Rote Rebsorten

    Die berühmteste Rebsorte Württembergs und „Nationalgetränk“ der Schwaben ist der Trollinger, im Ländle mit ca. 18 Prozent der Gesamtrebfläche vertreten. In Württemberg genießt der blassrote, süffige Stil des Rotweins eine hohe Beliebtheit, die unter anspruchsvollen Weinliebhabern selten geteilt wird.

    Einige Weingüter nutzen jedoch das qualitative Potenzial der großen Beeren aus und keltern niveauvollen, von hellen Früchten geprägten Wein aus dem Trollinger. Die zweithäufigste Sorte ist Lemberger (ca. 16 Prozent), das deutsche Pendant zum österreichischen Blaufränkisch.

    Traditionell würzig, pfeffrig und dunkler als Trollinger, offenbart die Rebsorte ein riesiges Qualitätsspektrum von hellen, parfümierten Leichtweinen bis tiefdunklen, von Maischeerhitzung und neuem Holz geprägten Wuchtkanonen. Der qualitative Peak fällt meist in die exakte Mitte und kann herausragende Weinerlebnisse bescheren. 

    Ebenfalls eine Lokalspezialität ist der Schwarzriesling (ca. 12 Prozent) mit ähnlich hohem Qualitätsspektrum: Von anspruchslosen Massentropfen bis eleganten, dem Spätburgunder ähnelnden (jedoch meist kräftigeren) Sensationen erstreckt sich eine große Bandbreite. Der Spätburgunder selbst (ca. 9 Prozent) darf in der Rebsortenstatistik eines deutschen Anbaugebiets nicht fehlen und zeichnet sich  – Sie ahnen es – durch eine Fülle unterschiedlicher Levels aus.

    Die meisten Weine sind uninteressant, während die Spitzenqualitäten fast an die Größe des badischen Kaiserstuhls heranreichen. Eher unbekannt ist die Rebsorte Samtrot (ca. 4 Prozent), eine Mutation des Schwarzrieslings, die charakterlich zwischen diesen und Spätburgunder fällt. Auch Dornfelder und Blauer Portugieser werden in Württemberg auf nennenswerter Rebfläche angebaut. 

    Weiße Rebsorten

      Nur etwa 30 Prozent des württembergischen Weins sind weiß. Trotzdem ist Riesling mit ca. 19 Prozent Flächenanteil noch vor Trollinger die meistangebaute Rebsorte der Region und gedeiht vor allem im nördlichen Bereich Kocher-Jagst-Tauber zu erstklassigen Qualitäten.

      Auch im Süden entstehen überraschende Top-Weine: Große Gewächse (GGs) und edelsüße Spezialitäten insbesondere aus Untertürkheim, Stetten und Fellbach, die selbst den Vergleich mit klassischen Riesling-Regionen wie Mosel oder Rheingau locker bestehen, überraschen Fans der Rebsorte. Mit großem Abstand folgen Ruländer (ca. 3 Prozent), Müller-Thurgau (ca. 3 Prozent) und Kerner (ca. 3 Prozent), aus denen größtenteils unkomplizierte Massenweine gekeltert werden. 

      Weine aus Württemberg: Was zeichnet sie aus?

      Unterschiedliche Klimata und eine hohe Bodendiversität erschweren die Definition allgemeiner Charakteristika des württembergischen Weins. Insbesondere Rotweinsorten werden würzige Nuancen und eine fruchtbetonte Art nachgesagt, doch die Eigenschaften variieren stark. Im nördlichsten Bereich Kocher-Jagst-Tauber beispielsweise sorgt raues Klima im Herbst für kernige, leichte und säurestarke (Weiß-)weine, während im Neckartal wärmere Bedingungen herrschen, die in kräftigem Rotwein vor allem aus Lemberger resultieren. Was Weine aus Württemberg auszeichnet, müsste man folglich für jede der dutzenden Weininseln separat beantworten. 

      Berühmte Winzer

      Das Weingut Aldinger aus Fellbach nahe Stuttgart zählt zu den großen Qualitätsbetrieben Württembergs. Seit der Übernahme durch Gert Aldinger im Jahr 1992 steht Klasse statt Masse im Fokus des Vorzeige-Betriebs, der nicht nur Regionalklassiker wie den Lemberger mit Großen Gewächsen auf bestmöglich Art interpretiert – auch „Exoten“ wie Sauvignon Blanc und Chardonnay sowie der „Trollinger Sine“ zählen zum Repertoire Aldingers. Ebenfalls aus Fellbach stammt Rainer Schnaitmann, dessen exzellente Kritiken auf die Spitzenlagen Fellbacher Lämmler und Fellbacher Goldberg zurückgehen.  

      Albrecht Schwegler aus Korb im Remstal genießt vor allem für seine kraftvollen „Reserve“ Weine aus Lemberger, Spätburgunder, Chardonnay und Riesling hohes Ansehen. Lemberger ist zugleich das Aushängeschild des Traditionsweingutes Graf Neipperg, dessen Wurzeln in Schwaigen über 750 Jahre zurückgehen. Von diversen Weinführern wie Gault Millau, Vinum und Falstaff unter den Top-Erzeugern Württembergs geführt, genießt der Betrieb sein hohes Renommee primär für drei Lagen: Den Neipperger Schlossberg, die Schwaigerner Ruthe und den Klingenberger Schlossberg.

      Hingegen erhält das Weingut Karl Haidle aus Stetten im Remstal seine überregionale Anerkennung in erster Linie für Riesling aus der Großen Lage Stettener Pulvermächer. Gleichermaßen prominent sind die edelsüßen Raritäten des Erzeugers, deren Bekanntheitsgrad durch den oben erwähnten Mostgewicht-Rekord des 2018er Eisweins in landesweite Höhen katapultiert wurde. Preisgekrönt, unter anderem von Eichelmann und Gault Millau, ist zudem das Weingut Jürgen Ellwanger aus Winterbach. Die konzentrierte, komplexe Hades-Kollektion markiert das Aushängeschild des Betriebs. 

      Mit diesen Spitzenbetrieben ist die Liste württembergischer Topwinzer noch lange nicht vollständig. Das Weingut Dautel aus Bönnigheim etwa zeichnet sich durch eine besondere Rebsortenvielfalt in Rot und Weiß aus, die von exzellenten Lagen wie dem Michaelsberg große Erlebnisse ins Glas bringen. 

      High End: Kultweine aus Württemberg

      Wer Württemberg noch immer mit faden, günstigen und blassen Tropfen aus den unteren Supermarktregalen assoziiert, wird durch eine Probe der regionalen Top-Weine eine enorme Bereicherung erfahren. Folgende Flaschen liefern einen kleinen, aber extrem gehobenen Ausschnitt des qualitativen Potenzials entlang des Neckar: 

      • Fellbacher Lämmler Lemberger GG, Aldinger: Zu 100 Prozent über 17 Monate im Barrique ausgebaut, besitzt er eine kräftige, maskuline Struktur mit Waldaromen und markantem Tannin. Lagerfähiges Paradebeispiel für guten Lemberger. 
      • Stetten Pulvermächer Riesling GG, Karl Haidle: Alte Reben auf 60 Prozent Steigung produzieren einen alterungsfähigen, feinen und salzigen Riesling, der spontan im alten Holzfass vergoren wurde. 
      • Neipperg Schloßberg Spätburgunder GG, Graf Neipperg: Exzellenter Pinot mit dichtem Aroma, lebendiger Fruchtsäure und animierenden Rauch- wie Tabakaromen. Mehrfach ausgezeichnet, u.a. 95 Punkte (Falstaff, Jahrgang 2019).
      • Trollinger Alte Reben, Schnaitmann: 30 bis 45 Jahre alte Reben, spontan auf der Maische vergoren, unfiltriert abgefüllt. Packende Tannine, saftige Frucht und ein burgundischer Charakter prägen diesen Trollinger, der das qualitative Potenzial der Rebsorte schön demonstriert. 
      • Verrenberger Verrenberg Riesling Eiswein 2018, Fürst Hohenlohe: Württemberg kann auch süß, wie dieses Elixier beweist. Typisch Eiswein, extreme Fruchtkonzentration, hohe Süße und voluminöser Körper mit immensem Reifepotenzial. 

      Württemberg entdecken: Wie Sie zum Weinexperten werden

      Württemberg ist eine Weinregion, die auf den ersten Blick schwer zu erschließen ist. Machen Sie sich das Leben leichter und fokussieren Sie sich zunächst auf den Landsteifen zwischen Untertürkheim und Schorndorf direkt südlich von Stuttgart. Hier ist die Konzentration an Spitzenlagen und renommierten Winzern besonders hoch und ermöglicht Ihnen, im ersten Schritt die drei Rotweinspezialitäten Trollinger, Schwarzriesling und Lemberger in verschiedenen Preislevels zu verkosten. Insbesondere beim Lemberger lohnt es sich, zur Entdeckung seines hohen Potenzials zumindest in eine Flasche des GG-Levels zu investieren.

      Auch die Gegend um Heilbronn mit Weinsberg, Schwaigern und vor allem Heilbronn selbst eröffnet optimale Entdeckungsmöglichkeiten. Kein Muss, aber eine interessante Bereicherung ist württembergischer Riesling. Egal, in welcher Reihenfolge Sie das viertgrößte Weinbaugebiet Deutschlands erschließen – Hauptsache, Sie lernen die hohen Qualitätsstandards seiner ambitionierten Winzer kennen und blicken zukünftig über den Tellerrand des günstigen Massenwein-Images hinaus.

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